Form eines Contrat Social zwischen Mann und Frau

Olympe de Gouges, 1791

Wir, N. und N., gehen aus eigenem Willen eine Verbindung auf Dauer unseres Lebens und auf Dauer unserer gegenseitigen Zuneigung unter den folgenden Bedingungen ein: Wir wollen unser Vermögen zusammenfügen und gemeinschaftlich verwalten, wobei wir uns das Recht vorbehalten, es zu Gunsten unserer gemeinsamen Kinder zu verteilen, und zu Gunsten von Kindern, die einer besonderen Neigung entspringen; wir anerkennen gegenseitig, daß unser Besitz direkt unseren Kindern zukommt, aus welcher Verbindung auch immer sie hervorgehen, und daß sie alle ohne Unterschied das Recht haben, den Namen der Väter und Mütter zu tragen, die sie als ihre Kinder anerkannt haben; und wir unterschreiben das Gesetz, das das Verleugnen des eigenen Bluts bestraft. Wir verpflichten uns gleichermaßen, im Falle von Scheidung, unser Vermögen zu teilen, nachdem daraus erst die Anteile der Kinder, wie vom Gesetz bestimmt, sichergestellt sind. In einer perfekten Verbindung wird im Todesfalle jede/r die Hälfte ihres/seines Besitzes den Kindern vererben. Wer kinderlos stirbt, vererbt der/dem Überlebenden von rechtswegen alles, es sei denn, die/der Verstorbene hat testamentarisch bestimmt, daß die Hälfte des gemeinsamen Besitzes einer dritten Person zukommt.
Das ist ungefähr die Klausel des Ehevertrages, den ich zur Ausführung vorschlage. Ich sehe die Tartuffes, die Klatschmäuler, den Klerus und die ganze teuflische Bande schon vor mir, wie sie beim Lesen dieser ungewöhnlichen Schrift gegen mich in Aufstand kommen. Doch wieviel moralische Mittel bietet diese Schrift den Vernünftigen, um einen hohen Grad der Vervollkommnung der Regierung zu erreichen. Ich werde in wenigen Worten einen konkreten Beweis liefern. Ein reicher, kinderloser Epikureer findet es ganz normal, zu seinem armen Nachbarn zu gehen und dessen Familie zu vermehren. Wenn ein Gesetz verabschiedet wird, das es der Frau des armen Mannes erlaubt, den reichen Mann zur Adoption seiner Kinder zu zwingen, dann werden die gesellschaftlichen Bande enger und die Sitten reiner. Vielleicht wird dieses Gesetz das Wohl der Gemeinschaft bewahren und die Mißstände eindämmen, die so viele Opfer in Hospizen der Schande, Erniedrigung und Degeneration menschlicher Prinzipien enden lassen, wo die Natur schon so lange dahinsiecht. Wenn doch die Verleumder dieser gesunden Philosophie mit ihrem fortwährenden Geschrei gegen die primitiven Sitten aufhören wollten und sich verirrten in den Quellen ihrer Zitate.

Ich will auch ein Gesetz zu Gunsten von Witwen und Mädchen haben, die durch falsche Versprechungen eines Mannes, mit dem sie sich eingelassen haben, betrogen wurden. Ich will, daß dieses Gesetz einen treulosen Mann zwingt, seine Versprechen einzuhalten oder eine Entschädigung im Verhältnis zu seinem Vermögen zu zahlen. Ich will, daß ein Gesetz streng gegen Frauen auftritt, gegen jene, die es wagen, sich auf ein Gesetz zu berufen, das sie selbst durch Verfehlungen, die bewiesen sein müssen, übertreten haben. Ich will auch, wie ich das 1788 in meiner Schrift „Das ursprüngliche Glück des Menschen“ erklärt habe, daß den öffentlichen Frauen eigene Viertel zugewiesen werden. Es sind nicht die öffentlichen Frauen, die am meisten zum sittlichen Verfall beitragen, sondern die Frauen der Gesellschaft. Wenn man die Sitten der Letzteren verbessert, trägt man auch zur Veränderung der Erstgenannten bei. Diese Kette brüderlicher Zusammengehörigkeit wird am Anfang Verwirrung stiften, doch am Ende wird ein perfektes Gemeinsames daraus hervorgehen.

Ich biete ein unschlagbares Mittel an, um die Würde der Frauen zu heben, nämlich zusammen mit Männern teilzunehmen an allen Berufszweigen. Besteht der Mann trotzig darauf, daß dieses Mittel unausführbar ist, dann soll er sein Vermögen mit seiner Frau teilen, nicht nach eigener Willkür, sondern aufgrund weiser Gesetze. Dann werden die Vorurteile verschwinden, die Sitten rein, und die Natur wird wieder in all ihre Rechte eingesetzt. Man füge hinzu, die Ehe der Priester, der König, bestätigt auf seinem Thron und die französische Regierung können nicht mehr untergehen.

Es ist wohl nötig, daß ich noch etwas über die Unruhen sage, die, wie es heißt, das Dekret zu Gunsten der Farbigen auf unseren Inseln verursacht. Da bebt die Natur vor Horror; da haben Vernunft und Menschlichkeit die versteinerten Seelen noch nicht berührt. Da wird die Bevölkerung zerrissen und erschüttert. Es ist nicht schwer zu raten, wer die Anstifter dieser Brandherde sind: sie sitzen bis in die Nationalversammlung; in Europa schüren sie das Feuer, das Amerika verzehren soll. Die Kolonialherren regieren wie Despoten über Menschen, deren Väter und Brüder sie sind; in Verkennung der Rechte der Natur verfolgen sie ihr eigenes Fleisch bis in die kleinste Schattierung ihres Blutes. Diese unmenschlichen Kolonialherren sagen; unser Blut fließt in ihren Adern, aber wir vergießen es, wenn nötig, um unsere Habsucht oder unseren blinden Ehrgeiz zu befriedigen. Gerade in diesen Gegenden, am dichtesten bei der Natur, verleugnet der Vater seinen Sohn. Taub für die Stimme des Blutes, erstickt er alle schöne Menschlichkeit. Was kann man von solchem Widerstand erhoffen? Mit Gewalt dagegen kämpfen, dann wird er noch schrecklicher, noch länger dulden heißt, daß alles Unheil über Amerika kommt. Eine göttliche Hand scheint überall das Erbteil der Menschen, die Freiheit zu verbreiten. Allein das Gesetz ist berechtigt, die Freiheit einzuschränken, wenn sie zu Zügellosigkeit entartet. Aber diese Freiheit muß für alle gleich und vor allem durch Dekret der Nationalversammlung festgelegt sein, diktiert von Klugheit und Gerechtigkeit. Möge sie in gleicher Weise in Frankreich handeln und neue Mißstände gleich schnell ans Licht bringen, wie alte Mißstände sich täglich verschlimmem! Ich bin der Meinung, daß die exekutive mit der legislativen Gewalt zusammengefügt werden muß, denn es scheint mir, daß die eine alles ist und die andere nichts. Daraus entsteht leider vielleicht der Niedergang des französischen Reiches. Ich betrachte diese beiden Gewalten wie Mann und Frau, vereinigt, um einen guten Haushalt zu führen, aber gleich an Kraft und Tugend.

(Quelle: Gouges, Olympe de (1791): Form eines Contrat Social zwischen Mann und Frau. – In: Olympe de Gouges : Mensch und Bürgerin ; „Die Rechte der Frau“ (1791). – Schröder, Hannelore [Hrsg.]. Aachen : ein-Fach-verl., 1995, S. 119 – 129)

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