Lida Gustava Heymann: Frauenlisten – aus eigener Kraft!

Lida Gustava Heymann, 1927

In allen Ländern, wo die Frauen die politische Gleichberechtigung bekamen und in die Parteien eintraten, sind sie im politischen Leben und besonders bei den Wahlen von den politischen Parteien und deren Geldmitteln abhängig. Das ist der Grund, warum weibliche Abgeordnete in Verwaltungskörpern und Parlamenten einen so geringen Prozentsatz ausmachen. Wahlen erfordern große Geldmittel, überall aber sind heute noch die Frauen die wirtschaftlich schwächeren, so befürchten sie stets, nicht in der Lage zu sein, das erforderliche Geld zu beschaffen, welches zu einer selbständigen erfolgreichen Wahlkampagne nötig ist. Frauen sind den Männerparteien auf Gnade und Ungnade ausgeliefert. Die Partei findet immer Mittel und Wege, Frauen auszuschalten, die eigene Initiative, eigene Meinungen haben. Frauen, die sich durchzusetzen wissen, eigene Wege gehen, die den üblichen politischen Schlendrian nicht mitmachen, sind in den Parteien unbequem.

Ein Vorgang in Baden hat wiederum den Beweis erbracht, daß Frauen sich allein aus eigener Kraft, trotz aller Schwierigkeiten durchsetzen können, wenn sie nur den festen Willen dazu haben.

Müde der unerträglichen Partei- und Cliquenwirtschaft, der Intriguen, der ewigen männlichen Bevormundung in politischen Dingen, haben einige Frauen in dem kleinen badischen Städtchen Durlach – es zählt 18000 Einwohner – im November 1926 eine selbständige Liste aufgestellt, die neben Frauen- auch einige Männernamen enthielt. Die Männerparteien hatten neun Listen eingereicht, die der Frauen war die zehnte, sie ging unter den Namen: Kommunale Volkswirtschaftliche Partei.

Es standen den Frauen sehr kurze Zeit, wenig Geldmittel, wenige geschulte propagandistische Arbeitskräfte zur Verfügung; es war ihnen nur möglich, drei von den elf Wahlkreisen zu bearbeiten. Trotzdem gelang es, eine Frau in den Stadtrat und vier Personen, drei Frauen und einen Mann, zu Stadtverordneten zu wählen.

Wie war das möglich ?

Frauen, die früher Parteien angehört hatten, bildeten eine überparteiliche Arbeitsgemeinschaft. Die Führerin, Frau Luise Knecht-Geibel, arbeitete bereits seit Jahren mit bestem Erfolg in den verschiedensten kommunalen Ausschüssen. Sie gehörte der sozialdemokratischen Partei an und war den Genossen ob ihrer Selbständigkeit, ihrer Tüchtigkeit, ihrer nie versagenden Arbeitskraft, ihrer zähen Ausdauer ein Dorn im Auge. Sie war eben eine von den unbequem tätigen Frauen, welche die Männer in den Parteien nicht gebrauchen können. Sie hat unter großen persönlichen Opfern die Sache angeregt und durchgeführt. Eine große öffentliche Versammlung wurde im Rathause abgehalten, welche dazu diente, den Wählern klar zu machen, was die Frauen wollten; es fiel besonders angenehm dabei auf, daß die Versammlung nicht dazu benutzt wurde, Gegner herunterzureißen. Alle Rednerinnen gingen von der richtigen Erkenntnis aus, daß es sich bei Stadtwahlen nicht um parteipolitische, sondern um Verwaltungs- und Kommunalfragen handelt. Ein Flugblatt wurde herausgegeben, welches mit den Worten begann: „Bürgerinnen und Bürger, wählt die praktische Tat!“ Dann folgten Vorschläge zur Gesundung der wirtschaftlichen Not, zur Hebung der sozialen und hygienischen Verhältnisse. Die Frauen in Durlach gewannen die Wähler durch ihre ganz andere Art, die Dinge anzuschauen und zu gestalten; sie brachten ganz deutlich zum Ausdruck, daß es sich für sie nicht um Partei- oder persönliche Interessen handelt, sondern daß es ihnen tatsächlich um das Wohl der Kommune zu tun war. Heute noch haben die Frauen Durlachs die Schulden der Wahlkampagne abzutragen, aber sie haben vier Frauen im Stadtrat und der Stadtverordnetenversammlung, die von keiner Männerpartei abhängig sind, die eigener Initiative folgen können.

Diese Wahl in Durlach hat wieder einmal bewiesen, was Frauen von Selbstachtung, die sich ihrer Eigenart bewußt sind, sich durch nichts beirren lassen, zu leisten vermögen. Den Parteien den Rücken wendend, meisterten sie selbständig, aus eigener Kraft mit Erfolg ihre Wahlen.

Möge dieses Vorgehen in allen Städten der deutschen Republik, bei den Wahlen in der Gemeinde, zu den Landtagen und zum Reichstage, baldigst Nachahmung finden, damit die Frauen endlich zahlreicher als bisher in alle Stadtverwaltungen und Parlamente einziehen, denn nur dann werden sie in der Lage sein, ihrer Eigenart gemäß zu wirken und aufzuräumen mit der unerträglichen Partei- und Interessenwirtschaft in allen diesen Körperschaften.

Wir brauchen in den Städten eine von aller Parteiwirtschaft befreite praktische Wirtschaftsführung und in den Parlamenten eine Politik, die erkennt, daß es sich nicht nur darum handelt, die Interessen des eigenen Landes, sondern die aller Länder zu wahren, um Weltwirtschaft und Völkerverständigung herbeizuführen. Das zu tun sind heute die Frauen viel eher imstande als die Männer, weil sie vorläufig keiner politischen Korruption zugänglich sind.

(Quelle: Heymann, Lida Gustava (1927): Frauenlisten – aus eigener Kraft!. – In: Die Frau im Staat : eine Monatsschrift, Nr. 5/6, S. 6 – 7)

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