Der Hass der Geschlechter

Hedwig Dohm, 1913

In allen antifeministischen Reden und Schriften wird unentwegt die Feindschaft zwischen Mann und Frau als ein charakteristisches Merkmal der Zeit, als eine Folge der Frauenbewegung denunziert. Jawohl, der Hexensabbat der Emanzipierten ist’s, der mit seinen Theorien den Hass zwischen den Geschlechtern gesät hat.

Ein gern gesehener Scharfmacher des Antifeminismus hat entdeckt, dass die „zwitterhaften Geschöpfe, die heute das grosse Wort führen und Anhängerinnen finden“, die vielen unglücklichen neuzeitlichen Ehen verschulden.

Da ist ein glänzender Essayist, dem graust’s, „vor der herrschenden, ertötenden Feindseligkeit zwischen Mann und Frau … Mann und Frau spüren sich gegenseitig die Schwächen des Geschlechts auf und bejubeln mit feindseliger Freude jeden Vorteil des einen über den andern.“ Müssen leise in sich hinein gejubelt haben. Habe nichts gehört.

Aber lieber Herr Anti, wir Frauen kennen Euch Jupiterleins mit Euren Schwächen doch von jeher, vor jeder Beihilfe der Frauenbewegung. Und was das Ausspionieren weiblicher Schwächen von Seiten der Männer betrifft, sollte der bildungsgesättigte junge Mann die blutigen Epigramme nicht kennen, die bei allen Völkern des Erdkreises seit Methusalems Zeiten bis zur Gegenwart das wehrlose Weib angeteufelt haben, oft in nicht wiederzugebenden Ausdrücken? Ich erinnere mich an die Mythe von der Pandorabüchse, ein Hirngespinst des berühmten griechischen Philosophen Simonides. Uralten Datums ist ja auch die Sage von Evas Apfel, die das Weib schwerster Weltschuld bezichtigt. Wie? Die Frau hasst den Mann? Nie ist die Welt durch einen grössern Unsinn alarmiert worden. Unser streitbarer Hass gilt doch nicht den Personen, die in einen fossilen Aberglauben hineingeboren, voll Überlieferungstreue, die uns feindlichen Ideen propagieren. Er gilt den Ideen, die uns den Boden wieder abgraben wollen, den wir eben erst mühsam erobert. Ideen wollen wir aus der Welt schaffen, ihre Inhaber – (wir kennen die Herren Antis doch persönlich gar nicht) mögen sich ihres Lebens freuen, so lange das Lämpchen noch glüht. Selbst in den grossen Mördereien der Kriege ist es immer eine Idee – (Mit Gott für König und Vaterland) nominell wenigstens – an der man die Kriegsfackel entzündet. „Das Kreuz gegen den Halbmond“ war der Schlachtruf am Balkan. Der Türke, den der Bulgare niederknallte, wäre ihm als Mensch vielleicht wahlverwandter gewesen, als der Kampfgenosse an seiner Seite. Kurios diese Identifizierung der Ansicht eines Menschen über eine bestimmte soziale Zeitfrage mit seinem ganzen Menschentum. Seine Ungunst der Frauenerhebung gegenüber hindert ihn nicht im geringsten, ein lieber, lieber Mensch zu sein, unter Umständen eine Idealgestalt. Die Partei, der er angehört, kennzeichnet seinen seelischen Wert nicht. Wissen wir doch nicht, ob reine, edle Motive, ob die Aussicht auf materielle Vorteile oder nur überlieferte Denkgewohnheiten seine Parteinahme bestimmten. Diese neumodische Proklamation des Geschlechterhasses – ein Märchen um das Gruseln zu lernen oder ein Stoff für Witzblätter – ist als ernstes Argument gegen die Frauenbewegung unanwendbar, denn – nicht wahr? – hassenswert sind nur die Bösen. Wie – weil du andere Ansichten hast als ich, sollte ich dich hassen? Ich hasse ja nicht einmal den Strindberg, bewundere ihn sogar als Dichter. Gleicht er doch – wie viele andere seiner Artung – den Kindern, die den Tisch schlagen, an dem sie sich gestossen haben. Sie haben sich am Weibe überspeist. Davon ist ihnen übel geworden, und als Medizin ordiniert ihnen ihr innerer Arzt – nach der leiblichen – die geistige Frauenfresserei.

Ich kann mir sehr gut vorstellen, dass ich – ungeachtet meines resoluten Feminismus – einen franken Antifeministen von ganzem Herzen liebhaben könnte. Es ist eine weltläufige Theorie, dass die erotische Anziehung zwischen den Geschlechtern auf ihren entgegengesetzten Eigenschaften, ihrer grundverschiedenen Psyche beruht. Meint doch Nietzsche, „dass ein Weib ohne Frömmigkeit für einen gottlosen Mann vollkommen widrig und lächerlich“ sein würde. Müssten nicht die Anhänger dieser Ergänzungstheorie Tusch blasen, wenn eine rabiate Suffragette sich mit einem Dorfpfarrer paarte? von solcher Paarung Sprösslinge erhoffend, die die goldene Mitte halten würden zwischen ihrer aufbrausenden Wildheit und seiner zahmen Frommheit? Und es geht die Rede: Die Höllenglut des Hasses zwischen Mann und Frau – das Werk der Revoluzzerinnen – hat die Himmelsflamme der Liebe ausgeblasen. Allgemeine Entliebung in Sicht. Nordpol mitten in Deutschland. Weltwehe!

Mir will scheinen, nie ist das Liebesleben üppiger ins Kraut geschossen, als gegenwärtig. Kein Tag ohne Selbstmord oder Eifersuchtsmord – aus Liebesnot.

Eros im Sterben! Mild lächelt der Göttliche in purpurner Selbstherrlichkeit auf seine Tributpflichtigen nieder. Der kleine Cupido aber – sozusagen sein Messenger-boy – lacht aus vollem Halse, und unverdrossen schiesst er Pfeil auf Pfeil ab, trifft auch die moritatendurstigste Suffragette.

Liebe geht vor Politik. Selbst Liebe ohne Mitgift. Liebe in allen möglichen Variationen, von den grossen Passionen bis zu den kleinen Liebeleien, von der im Hörselberg bis zu den heiligen Ehen, die im Himmel geschlossen werden. Wie die Sonne sich um die Erde drehen würde, auch wenn kein Astronom ihre Gesetze entdeckt hätte, so wird der Stern der Liebe das Herz der Menschen (inklusive das der Reformfurien) durchstrahlen, unwandelbar, naturgesetzlich. Wahrlich kein Nobelpreis ist nötig für die Friedensstifter zwischen Mann und Weib, denn „Über allem Zauber“ Liebe. In Ewigkeit. Amen.

ZEIT IM BILD, Berlin, 16.4.1913

(Quelle: Dohm, Hedwig (1913): Der Hass der Geschlechter. – In: Erinnerungen und weitere Schriften von und über Hedwig Dohm. – Zürich : Ala-Verl., 1980, S. 153 – 158)

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